Falscher Heiligenschein: Tim Mälzers Ernährungs-Check
Vielleicht ist es ja irgendwie logisch, dass jemand, der sich im Tagesgechäft um die Gaumenfreuden seiner Gäste kümmert, gerne auch dann zu vollmundigen Aussagen kommt, wenn es um die richtige Ernährung im Allgemeinen geht. Und so wurde Tim Mälzers „Ernährungs-Check“ bereits im Vorfeld von der Presse als wissenschaftliche Sensation gehandelt. Da gehörten Formulierungen des Hamburger Tageblatts, es sei nun „Schluss mit der Gerüchteküche“, noch zu den seriösesten. Andere sahen dank des „großen Tests“ bereits die „Ernährungslüge widerlegt“, während der Spiegel die Ergebnisse zu einer heiteren Aufforderung umformulierten: „Haut ins Mett, Jungs!“ Mälzer selbst durfte eine Woche vor Ausstrahlung bei der ARD-Kollegin Sandra Maischberger erklären, was für ihn der Stein des Anstosses gewesen sei: „Dass gerade bei Ernährung so viele Regeln, so viele Gesetze, so viele Rituale aufgebaut worden sind, dass man sich eigentlich schon gar nicht mehr korrekt … ernähren kann.“ In Wahrheit, wie ihm der aus Heidelberg angereiste Dr. Peter Nawroth beipflichtete, könne ein gesunder Mensch gar nicht gesünder werden als er es bereits sei. Wichtig sei nicht so sehr, sich einer bestimmten Philosophie zu verschreiben – sondern bei der Ernährung vor allem auf die Kalorienmenge und die in den Produkten enthaltenen Inhaltsstoffe zu achten.
Schwer fassbarer Begriff
Gesunde Ernährung, das hat Mälzer bei Maischberger schon ganz richtig formuliert, ist ein schwer fassbarer Begriff. Das wurde noch einmal deutlich, als praktisch zeitgleich mit dem Ernährungs-Check bei „Mälzer kocht!“ das Gesundheitsnetz Osthessen ankündigte, man habe ein eigenes Ernährungsinstitut gegründet. Denn hinter dem Projekt steht die Vorstellung, so Ökotrophologin Helena Walz, dass „gesunde Ernährung sehr individuell ist, nicht nur bei Erkrankungen, sondern auch bei Kindern oder Senioren“. Mälzer und Nawroth hingegen richteten sich nicht so sehr auf eine individuelle Perspektive, sondern eher auf das Ausräumen von Vorurteilen: Dass eine Currywurst oder Sahnetorte ungesund, ein Vollkorn- gesünder als ein Weissbrot, fettarm besser als fettreich und Gemüse eine klügere Wahl als ein Stück Fleisch sei. Dass Essen, wie es der Pressetext zur Sendung nicht einmal völlig falsch auf den Punkt brachte, zu einer „Ersatzreligion“ geworden sei, kann einem Wissenschaftler wie Nawroth natürlich nicht gefallen. Und so wollte er die Diskussion auf den Boden der nackten Tatsachen zurückführen: „Ob es eine Kost gibt, die bei einem gesunden Menschen das Leben noch weiter verlängern könnte, Krebs noch unwahrscheinlicher macht, Herzinfarkten vorbeugt oder den Blutdruck senkt – das sind alles Themen, die in den Bereich des Glaubens gehören, aber nicht in den Bereich der durch harte Wissenschaft überprüften Datenlage“.
Und so teilte man 45 Männer zwischen zwanzig und vierzig – alle mit durchschnittlichem Körpergewicht und „gesund“ – in drei Gruppen ein. Eine erhielt, was im Film als „mediterane Küche“ bezeichnet wurde (Pasta, Gemüse, Fisch), eine zweite deutsche Hausmannkost (Fleisch, Knödel, Brezeln) und eine dritte Fastfood (Rührei, Fritten, Burger). Dass die Studie vier Wochen dauerte, wie vorher vermerkt, ist dabei eher irreführend, denn die ersten zwei davon erhielten alle Teilnehmer, zur Angleichung der Stoffwechsel, die selbe Kost. Lediglich in den letzten vierzehn Tagen erfolgte dann die strikte Trennung der Diäten. Und dennoch war das Ergebnis auf den ersten Blick bemerkenswert: Die Kontrollwerte in Bezug auf beispielsweise („gutes“) LDL-Cholesterin, („schlechtes“) HDL-Cholestin, Leberwerte, Blutzuckerspiegel und (bei zu hoher Konzentration gefährliches) Homocystein entwickelten sich in allen drei Gruppen praktisch identisch. Verschlechterungen traten kaum auf, in einigen wichtigen Bereichen sogar Verbesserungen. Die Analyse verführten so manchen Probanden zu der These, man könne doch im Grunde genommen „essen, wozu man Lust hat“.
Angst vor den Konsequenzen
Das ist zunächst in der Tat der Eindruck, den man auch als Zuschauer nach der das Experiment abschließenden Präsentation der Ergebnisse gewinnt. Interessanterweise ist das aber überhaupt nicht, was die Macher der Sendung dem Zuschauer als Fazit auf den Weg geben: „Wer etwas abwechslungsreich isst, kann eigentlich nicht viel falsch machen.“ Das klingt schon bedeutend vorsichtiger. Schreckt da jemand vor den Konsequenzen der eigenen Forschung zurück? Oder traut man der Sache dann doch nicht so recht? Nawroth greift bei Grünkohl mit fetter Fleischbeilage zwar gerne kamerawirksam zu, fügt aber doch sicherheitshalber hinzu, wer so etwas täglich esse, habe ein Problem. Und auch Mälzer selbst scheinen die Ergebnisse seiner Versuchsreihen eigentlich überhaupt nicht zu interessieren. Unbeeindruckt von der Tatsache, dass sich die dritte Gruppe zwei Wochen lang ausschließlich vom einem monothematischen Speiseplan ernährt hat ohne belegbare Schäden davonzutragen, sieht er seine Anfangsthese, es komme auf ausgewogene Nahrung an, bestätigt: „Ich will nicht jedem Menschen Tür und Tor öffnen, der sich von Mist ernährt. Hier geht es nicht um konventionelle industrielle Lebensmittel, sondern … um frisch gekochte Lebensmittel. Und wer aus dieser Dokumentation rausgeht und sagt, ich kann mir jeden Dreck reinpfeifen, den ich möchte, der hat die Dokumentation falsch verstanden.“
Irreführender Ansatz
In Wahrheit aber hat Mälzer seine eigene Dokumentation nicht verstanden – oder sie guten Gewissens von Anfang an irreführend angelegt. Denn während die drei Diäten wunderbar plakativ mit Titeln wie „Deutsche Küche“ oder „Fast Food“ versehen wurden, die beim Zuschauer unmittelbar ein einfach einzuordnendes geistiges Bild hervorrufen, handelte es sich in allen Fällen um frisch gekochte, sorgfältig zusammengestellte Gerichte. Während eine Gruppe ein mit Salat und Fleisch gefülltes Burgerbrötchen und frisch fritierte Pommes ass, verspeisten ein zweiter Tisch ein Schnitzel mit Spätzle und Pilzrahmsausse und der dritte ein Fischfilet mit Nudeln. Nawroths Mantra, es komme auf die Inhaltsstoffe an, verkehrt sich hier zu einer Banalität: Wer auf keinen Fall zu viel ist, auf Salat und auf Frische achtet, bei dem werden auch die Blutwerte unproblematisch bleiben – und das tun alle drei Gruppen in gleichem Maße. Mit der Praxis haben diese Versuchssituationen aber denkbar wenig zu tun. Dass die Studie nur so gut ist wie ihre Ausgangsparameter teilt sie mit anderen. Und wie bei so vielen anderen lässt sie den Zuschauer mit den Schlussfolgerungen ziemlich allein: Hinterfragt er die Ergebnisse nicht, ergibt sich daraus für ihn kaum ein praktisch hilfreicher Ratschlag. Hinterfragt er sie sehr wohl, nimmt die Verwirrung eher noch zu.
Das größte Manko des Ernährungs-Checks aber besteht nicht so sehr in der Methodik, sondern der dahinterstehenden Vermutung, Gesundheit ließe sich als Sammelgröße vieler einzeln zusammengeklaubter Blutwerte darstellen. Dass sich die mediterane Gruppe wunderbar fühlte, die Fast-Food-Esser aber müde, ausgelaugt und lustlos, ist nicht ein Nebeneffekt, der sich einfach so wegdiskutieren lässt. Es ist vielmehr ein zentraler Punkt. Gesundheit bedeutet doch eigentlich, sich möglichst dauerhaft gut zu fühlen. Wenn man Ernährungswissenschaft als den Versuch versteht, genau diese Gesundheit herbeizuführen, dann ergeben sich gänzlich andere Ergebnisse als die von Mälzers Versuchsreihe. Die freilich setzten aber auf subjektive, persönlichere Wahrheiten, die er und Nawroth in den Bereich des Glaubens verorten möchte – und die sich auch nicht so vollmundig als neue Wahrheit verkaufen lassen wie der Heiligenschein wissenschaftlicher Nachweisbarkeit.
Photo: Marshall Astor