Utopias in Gerste: Die Bierleidenschaft des Jim Koch

0 Kommentare | On : Februar 4, 2012 | Kategorie : Blog, Produkte & Profile

Jim Koch

Jim Kochs Eltern liessen sich bewusst etwas Zeit, bevor sie ihren Sohn in die Genüsse des Bierkonsums einweihten. Und so war Koch schon vier, ehe er seinen ersten Schluck Gerstensaft bekam. Es sollte eine Erfahrung sein, die sein Leben für immer verändern sollte. Bereits während er einem äußerst lukrativen Job bei der Boston Consulting Unternehmensberatung nachging, juckte es ihn in den Fingern, sein eigenes Bier zu produzieren. Brauen hatte Tradition bei den Kochs, die fast ein Jahrhundert lang unter Verwendung eines Familienrezepts auf dem Markt vertreten waren, bis die Prohibition ihren Aktivitäten, wie denen so vieler kleiner Unternehmen, ein jähes Ende setzte. 1984 knüfte Koch in der heimischen Küche zum ersten Mal seit zwanzig Jahren an die Tradition an und braute eigens ein „Louis Koch Lager“, wie es sein Großvater und Urgroßvater noch gekannt hatten. Ganz offensichtlich weckte der Geschmack tief in ihm schlummernde Sehnsüchte. Noch im selben Jahr verliess er die Boston Consulting, tat sich mit Harry M. Rubin, und Lorenzo Lamadrid zusammen und gründete die Samuel Adams Brauerei. Bereits drei Monate nach Eröffnung wurde Samuel Adams‘ Bier zum besten in Amerika gewählt – ein Titel, den es über die nächsten vier Jahre halten und damit, zumindest in Bierkreisen, zu einer Legende werden sollte.

Gelassener Erfolg

Jim Koch sieht den frühen Triumph von Samuel Anderson – der Name bezieht sich auf einen berühmten Freiheitskämpfer aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs – heute eher gelassen. Mitte der 80er das beste Bier des Landes zu produzieren, sei nicht gerade schwer gewesen: Zu sehr seien die Qualitätsstandards unter der zunehmenden Marktkonzentration auf eine handvoll großer Unternehmen in den Keller gegangen und Bier zu einem weitestgehend verachteten Produkt verkommen. Freilich ergab sich genau daraus die Chance für eine kleine, aber von einer unglaublichen Leidenschaft getriebenen Firma, deren Philosophie dem Massendenken der traditionellen Multinationals zu widersprechen schien. Samuel Anderson stand für eigenwillige Biere, die nicht jedem schmeckten, für Rezepte, die statt auf künstliche Aromastoffe auf natürliche Zutaten wie Gerste vertrauten und eine weitgehende Unabhängigkeit von den großen Vertriebskanälen. Vor allem aber stand das Bier für eine selbstauferlegte Frische-Politik, als Teil derer man mehr als vier Monate alte Flaschen eigenhändig aus den Regalen nehmen liess – ein seinerzeit unerhörter Schritt. Koch sollte selbst zur Gallionsfigur seines Unternehmens aufsteigen und trat persönlich in den Samuel Anderson Werbespots auf, die schon bald einen ähnlichen Kult-Status erreichen sollten wie die notorischen Saitenbacher-Müsli-Jingles im deutschen Radio – ohne dabei auch nur annähernd so zu nerven.

Spezialbiere als Aushängeschild

Von Anfang an war eine entscheidende Komponente der Samuel Adams Strategie, neben einem regulären Lager eine Reihe von Spezialbieren anzubieten. Koch bereiste die ganze Welt, sprach mit so viel kompetenten europäischen Brauern wie möglich und holte die ganze Vielfalt der Bierwelt zu sich nach hause in die USA. Heute hat man neben einer Sorte namens „Oktoberfest“ ein „East West Kölsch“ sowie ein „Dunkelweizen“ im Programm. In den deutschen Bieren drückt sich der besonders intensive Kontakt von Koch mit der hiesigen Bierszene aus: Einmal im Jahr reist er nach Bayern, um dort neue Hefesorten zu selektieren und für die eigene Produktion einzusetzen. Und 2009 knüpfte man den ersten wirtschaftlichen Bund mit dem Münchner Weihenstephan-Konzern, um Kompetenzen auszutauschen und gemeinsam an neuen Sorten zu feilen. Das erste Ergebnis des interkontinentalen Händedrucks: Infinum, ein in einer streng limitierten Auflage hergestellter Bierchampagner, der unter Beachtung des Reinheitsgebots gebraut wurde und sich gerade zu Silvester, als eine unkonventionelle Alternative zum Anstossen anbot.

Utopias

Der Flachenpreis von knapp 15 Euro mag manchen eher als anstössig erscheinen. Doch verblasst er gegenüber dem Prestigeprojekt von Samuel Adams: Utopias, dem mit 27% alkoholreichsten (und mit ca. $150 Flaschenpreis einem der teuersten) natürlich fermentierten Biere der Welt. An Utopias hat Jim Koch jahrelang persönlich gearbeitet, von „ungebildeten Farmern in Kentucky“ jahrhundertaltes Wissen übernommen, wie sich hochprozentige Getränke geschmacklich durch die Einlagerung in verkohlten Eichenfässern „glätten“ lassen. Heute wird Utopias nur alle zwei Jahre produziert und stellt dabei eine Mischung aus verschiedenen Bieren dar, von denen manche in Fässern liegen, die seit 1994 gelagert werden. Die Kombination verschiedener Aromen und der hohe Alkoholgehalt – als Folge dessen Utopias in gleich dreizehn amerikanischen Bundesstaaten verboten ist – ergeben dabei eine Textur, die entfernt an Ahornsirup erinnert und einen Geschmack, bei dem einem förmlich der Gaumen zu explodieren scheint: Unterschiedliche Tester haben darin bereits Spuren von Sherry, Portwein, Kaffee, Orange, Karamell, Rosinen und Nüssen entdeckt. Bei einem derart komplexen Produkt gibt sogar Koch unumwunden zu, dass dies „eines der wenigen Biere ist, das nicht davon profitiert, wenn man es zum Essen trinkt.“

Dass Utopias ein umstrittenes Flagschiff ist, dürfte ihm bewusst sein, gerade in Zeiten, in denen die Schere zwischen arm und reich in den USA immer weiter auseinander klafft und ein Bier, das teuer als so mancher Spitzenklassewhiskey ist, zum reinen Luxusprodukt wird. Doch nimmt ihm jeder, der Koch einmal über seinen Beruf und sein Unternehmen hat reden hören, die Begeisterung für neue Geschmackserlebnisse ab. Die kindliche Neugier hat er sich bis heute erhalten. Kein Wunder, ist sie ihm doch schließlich in die Wiege gelegt.

Quellen und weitere Informationen:

 

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