Die Erfolgsgeschichte des Kusmi Tee
Wenn man es genau nimmt, hätte sich Kusmi Tee eigentlich längst in Orebi Tee umbenennen müssen: Ziemlich genau ein Jahrzehnt nachdem Sylvain Orebi die Marke erwarb, ist sie nach einer langen Durstrecke wieder auf dem Gipfel der Industrie angekommen und trägt mehr denn je den Stempel ihres neuen Besitzers. Innerhalb dieser erdenklich kurzen Zeitspanne hat Orebi mit seinem Unternehmen den ruhmreichen französischen Konkurrenten Mariage Frères zuhause überholt, Filialen in Kanada und den USA eröffnet und neue, ungemein ertragreiche Märkte für sich erschlossen. Kusmi Tee ist nicht einer dieser Insider-Tipps, die man sich mit bedeutungsschwangerem Blick auf einer Underground-Party zuraunt – es ist ein Name, der schon längst in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist und sich dort sichtbar wohlfühlt. Dabei ist der Erfolg alles andere als ein Wunder. Kusmi hat lediglich die Zeichen der Zeit erkannt und, mit der notwendigen Konsequenz, die richtigen Schlussfolgerungen daraus gezogen. Und dennoch – etwas märchenhaftes haftet der Kusmi-Story unzweifelhaft an.
Wurzeln in Kakao und Kaffee
Es war irgendwann in 2003, als Sylvain Orebi zum ersten Mal den Namen Kusmi Tee hörte. Als er 2001 mit seinem Bruder Claude das Familienunternehmen von seinem Vater Elie übernommen hatte, war die Firma noch vornehmlich auf die Kaffee- und Kakao-Branche ausgerichtet. Doch während Claude höchst erfolgreich das Tagesgeschäft übernahm, wurde Sylvain von der Vision einer Expansion in neue, angrenzende Gefilde getrieben. Es gab nur ein Problem: Zwar hatte Tee bei den Orebis schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Nur fehlte der Familie die Erfahrung im direkten Kundenkontakt, so wie ihn beispielsweise Mariage Frères in einer inzwischen über hundertfünfzigjährigen Spanne mit prachtvoll illustrierten Fotobänden und Geschichtsbüchern gezielt gepflegt und kultiviert hatte. Über einen Freund, der für ihn bei der Kette Bon Marché für ihn Tee eingekauft hatte, erführ er völlig unerwartet von Kusmi, etwas später dann auch, dass das Unternehmen zu verkaufen sei. Orebi war fasziniert. Zwar hatte Kusmi viel von ihrem ehemaligen Glanz verloren und war eher zu einem kleinen Nischenanbieter verkümmert. Doch erkannte er sofort das Potential dieser höchst eigenen und eigensinninigen Marke. Genauer gesagt: Er verliebte sich Hals über Kopf in sie.
Andauernde Glücksmomente
Heute ist es schwer, sich diesen ersten, naiven Glücksmoment vorzustellen. Kusmi ist inzwischen zu einem, wie es so schön heisst, Global Player herangewachsen, betreibt sehr professionell eine eigene deutsche Internetseite sowie Facebook-Präsenz und hat vor allem auf dem nordamerikanischen Kontinent Fuss gefasst. In Montreal beispielsweise ging das Konzept der Kusmi-Boutiquen voll auf: In makellosem (von einem durchaus begeisterten Beobachter etwas unfreundlich als „aseptisch“ bezeichnetem) Weiss gehalten und mit Regalen voller Teedosen lockend können Besucher sich durch eine Welt aus feinem Geschmack bewegen, etwas über die jahrhundertealte Tee-Tradition erfahren und vor allem viel Kusmi Tee ausprobieren. Als die amerikanische TV-Moderatorin Faith Hope Consolo in dem New Yorker Shop vorbeischaute, schwor sie sogar darauf, man fühle sich bereits besser, wenn man allein schon an dem Inhalt der Dosen rieche. Im Jahr nach dem Besuch erreichte Kusmi offiziell die zwanzig Millionen Euro Umsatzmarke und sagte für das Jahr 2012 eine Verfünffachung dieses Wertes voraus – aus Sylvain Orebis Vision war eine beeindruckende Wirklichkeit geworden.
Behutsame Anpassung
Dabei besteht Orebis Geheimnis vor allem darin, dass er die Grundidee von Kusmi nicht komplett auf den Kopf gestellt, sondern behutsam an das einundzwanzigste Jahrhundert angepasst hat. Bevor er sich in den Tee verliebte, gab er in einem seiner wenigen Interviews einmal zu, hatte er sich in dessen Hülle verliebt, in die mit wundervollen Verzierungen geschmückten Döschen, die bereits visuell ankündigten, was den Gaumen kurz danach in Entzückung versetzen sollte. Noch heute sind achtzig Prozent aller Kusmi-Kunden Frauen, die den Tee aufgrund seiner edlen Verpackung ausprobieren und dann, von dem Geschmack überzeugt, der Marke treu bleiben. Womit der zweite essentielle Aspekt von Kusmi Tees bereits angesprochen wäre: Die Kunst des Gründers Pavel Michailovitch Kousmichoff bestand nicht nur darin, edlen Tee aus den Kolonien nach Sankt Peterspurg zu importieren und in den Geschäften seines rasch wachsenden Filialnetzes zu verkaufen. Bekannt war er stattdessen vornehmlich für seine raffinierten Rezepturen und Mischungen, bei denen er den Teeblättern verschiedene Aromen und Früchte hinzufügte. Mit „Bouquet de Fleurs Nr. 108“ gelang ihm schließlich der große Coup, auf den er so lange gewartet hatte: Der Zar erkor die Zusammenstellung aus Earl Grey, Zitrusfrüchten und einer speziellen Blumenmischung zu seinem persönlichen Tee.
Einblicke in den Kusmi Kosmos

Erfolg in der Wellness-Ecke

Kontinuität ist Zukunft
Der Triumph von Løv Organic mag nicht so recht in das Bild von Kusmi als einer traditionsreichen Firma mit 140 Jahren Geschichte passen. Doch in Wahrheit ist genau der Gedanke der Kontinuität, der Kusmi zu dem gemacht hat, was es ist. Schon als Pavel Michailovitch Kousmichoff und seine Familie aus Sankt Petersburg nach Paris umsiedeln mussten, stand das Unternehmen am Abgrund, doch Pavel und seinem Sohn Vietcheslav gelang es sogar noch, den russische Erfolg auszubauen. Und nach dem allmählichen Abstieg, der auf den Verlust des Geschäfts durch die Kousmichoffs 1972 folgte, ist Kusmi heute schlicht wieder in eine bessere Phase eingetreten. Für jemanden wie Sylvain Orebi, der bereits vor dem Kauf von Kusmi Tee intensive Erfahrung mit dem Auf und Ab der Märkte gemacht hat, sind diese Wellenbewegungen eine Selbstveständlichkeit. Mit Kusmi hat er sich in eine ruhmreiche Tradition eingeklinkt – ihr den eigenen Namen aufzuzwingen, käme für jemanden wie ihn nicht in Frage.



